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VERANSTALTUNGSARCHIV:
AUSSENDUNGEN DER JOSEF WEINHEBER-GESELLSCHAFT AUS DEN VERGANGENEN JAHREN
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Wien, am 6. August 2011
Über die geschichtspolitisch gebotene
“Ergänzung von Leerstellen” im
öffentlichen Raum
Eine polemische Stellungnahme
Unter dem Titel „Josef Weinheber weiterhin
Ehrenmitglied der Akademie“ berichtet die
Tageszeitung „Der Standard“ am 5. August 2011 (S.
23, verfasst von Thomas Trenkler) von Vorwürfen
gegen die Akademie der bildenden Künste in Wien,
diese sei bei der Aufarbeitung ihrer Geschichte in
den Jahren unter der NS-Herrschaft bisher säumig
gewesen. In diesem Zusammenhang wird neuerlich
auf die Kritik „einer Gruppe von Studierenden und
jungen Lehrenden“ namens „Plattform
Geschichtspolitik“ eingegangen. Sie hat u. a. die
Forderung erhoben, dem Schriftsteller Josef
Weinheber die 1942 verliehene Ehrenmitgliedschaft
an der Akademie abzuerkennen und das 1975 zu
seinem Gedächtnis errichtete Denkmal auf dem
Schiller-Platz (mit der von Josef Bock gestalteten
Büste) zu entfernen. Ersteres besäße, bald siebzig
Jahre nach dem Tod des Dichters, zumindest einen
merkwürdigen Beigeschmack des Feigen und
Lächerlichen, letzteres zweifellos die größere
Tragweite. Ich möchte zu dieser konkreten
Angelegenheit – nicht zu den allgemeinen
Vorhaltungen an die Adresse der Akademie, worüber
ich mir kein Urteil anmaße – als Weinheber-Forscher
und als Liebhaber Weinheberscher Lyrik Folgendes
feststellen:
Es ist richtig, dass Weinheber sich 1942 – als er seinen
50. Geburtstag feierte und ihm die Ehrenmitgliedschaft
der Akademie der bildenden Künste verliehen wurde –
von allerlei Vertretern des offiziellen Wien huldigen
ließ, dass er sich in diesen Jahren wiederholt bereit
gefunden hatte, Festgedichte im Auftrag politischer
Stellen und öffentlicher Institutionen zu verfertigen,
Texte, denen er selbst in der Regel zwar keinerlei
Bedeutung beimaß, außer, dass sie ihm Geld
einbrachten und im Arrangement mit den Mächtigen
eine gewisse, ohnedies recht trügerische Sicherheit
gewährten. Richtig ist ferner, dass er nicht die
Konsequenz aufbrachte, sich den vielen Bemühungen
um seine Person dauerhaft zu verweigern, die den
berühmten Dichter für offiziöse Zwecke (Lesungen,
Festakte, Feiern etc.) reklamieren wollten und ihm
verschiedene Ehrungen zuteil werden ließen, auch
wenn dies alles erwiesenermaßen längst eine
furchtbare seelische Belastung für ihn darstellte und er,
ebenso erwiesenermaßen, längst vom unheilvollen
Verbrechertum des Regimes überzeugt war (1) ... (Man
soll nun nicht glauben, dass er sich ausgerechnet um
die Ehrerbietungen von Seiten der Akademie gerissen
habe; diese haben ihn aber zweifellos mehr gefreut als
das Scharwenzeln der Schirach-Administration.)
Richtig ist aber auch, dass Weinheber in dieser Zeit als
Künstler hauptsächlich damit beschäftigt war, seine
letzte große Lyriksammlung – die ihm angesichts der
Lage immer mehr zu einem Vermächtnis wurde – zu
vollenden: Sie wurde schließlich 1944 unter dem Titel
„Hier ist das Wort“ gedruckt und stand zur
Jahreswende 1944/45 vor dem Erscheinen, konnte aber
kriegsbedingt erst 1947, also nach dem Tod des
Dichters, tatsächlich herausgebracht werden. Wer nun
einen Blick in dieses Buch wirft (um hier nur von dem
spätesten Schaffen zu sprechen, Ähnliches gilt freilich
für die früheren Werke), wer es unvoreingenommen,
ehrlich und mit einem gewissen Sachverstand studiert,
der wird wohl der Auffassung dessen zustimmen, der
sich als Literaturwissenschaftler und Philologe lange
mit ihm beschäftigt hat: Dem Verfasser gebühre
durchaus, dass man ihm Denkmäler setze. (Übrigens ist
in „Hier ist das Wort“ auch der von Weinheber
verfasste Festprolog zum 250. Bestandsjubiläum der
Akademie enthalten – vielleicht kein großes Gedicht,
jedoch in mehrerer Hinsicht nicht uninteressant und
bestimmt auch nichts, wofür sich die Akademie heute
zu schämen hätte. (2))
Da macht es schon stutzig, ja es bereitet regelrecht
Schmerzen, diesen Mann heute nur noch als „NS-
Dichter“ bezeichnet und damit abgefertigt zu sehen –
mit einem der schlimmsten uns heute zur Verfügung
stehenden Disqualifizierungsbegriffe. Aber die
berichtete Sache geht ja noch weiter: Die designierte
Rektorin, Frau Professor Eva Blimlinger, mit den
Vorwürfen des Versäumnisses in geschichtspolitischen
Dingen konfrontiert, bekundet die Absicht, die Frage
der Ehrenmitgliedschaften insgesamt noch einmal
genauer prüfen zu wollen. Sie glaubt aber bereits im
Voraus, also gleichsam freibrieflich, erklären zu
können, Weinheber wäre die Ehrenmitgliedschaft aus
ihrer Sicht „jedenfalls abzuerkennen“. (Bei dieser
Gelgenheit: kann man einem Toten eine Mitgliedschaft
überhaupt aberkennen? Das ist ja kein Doktortitel und
Weinheber kein Guttenberg, der sich die Würde
betrügerisch erschlichen hätte. Und was sollte es
beweisen: dass die Zeiten sich geändert haben? Und
wen soll es treffen: die Familie, die Nachkommen?)
Noch mehr forderte der scheidende Rektor, Herr
Professor Stephan Schmidt-Wulffen, der schon vor
einem Jahr im Sinne der Proponenten des
geschichtspolitischen Reinigungskomitees die Stadt
Wien zur Umgestaltung des Schiller-Platzes aufrief.
Namentlich verlangte er, dass die „Leerstelle“ der
auszuradierenden Denkmalbüste auf dem Schiller-Platz
demonstrativ „mit entsprechenden Information über
seine (Weinhebers) nationalsozialistische
Vergangenheit ergänzt“ werde. Wir deuten uns das
sprachliche Rätsel so: Auf den zu leerenden Sockel
möge an Stelle der beseitigten Büste ein Instrument der
Aufklärung des bislang im Dunkeln tappenden Volkes
gesetzt werden – ein moderner Denkmalsturz als
vollendete Teufelsaustreibung! Das Denkmal solle
durch den öffentlichen Anschlag eines
„Sündenregisters“ über die politischen Verfehlungen
des einst damit Geehrten ersetzt werden – eine ganz
neuartige, in ihrer Hypokrisie und Perfidie kaum noch
zu überbietende Geste der
Vergangenheitsbewältigungs- als einer
Vergangenheitsbemächtigungskultur. Geschichtliche
Orientierung im gewachsenen öffentlichen Raum und
bürgerliche Gedächtniskultur werden durch ein
bevormundendes, tendenziell geschichtsloses
Sittenwächtertum ersetzt, betrieben von Pressure-
Groups beflissener Ahnungslosigkeit und eilfertigen
Wechslern tagespolitischen Kleingelds.
Nun sollte man aber doch nicht davor
zurückschrecken, die einmal entdeckte Methode – das
staunenswerte „Ergänzen von Leerstellen“ also –
gehörig auszudehnen und mit aller Konsequenz
anzuwenden. Denn da gäbe es noch viel zu tun: Wir
wollen alle Monumente, Bauwerke, überhaupt alle
Gegenstände, die an jemanden erinnern, der unseren
Vorstellungen von politischer Gesinnungsreinheit und
moralischer Unfehlbarkeit nicht standhält, radikal
tilgen, und an die Stelle der so entstandenen
unzähligen weißen Flecken in Österreich wollen wir
das mahnend aufzurichtende Scheltwort der
moralischen Verdammung und Ausgrenzung setzen,
wir pflastern also unsere historisch gewachsene
Kulturlandschaft mit den Urteilen einer Art posthumer
Inquisition zu. Am nächsten läge es, gleich mit dem
Schiller-Platz selbst und dem großen Schiller-Denkmal
fortzufahren, ist es doch eindeutig die Frucht jener
unheilschwangeren deutschnationalen Begeisterung
aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Und gegenüber,
nicht weit über dem Ring, das Goethe-Denkmal ehrt
jenen zweiten Dioskuren der Reaktion, den
aufgeblasenen Fürstendiener und rücksichtslosen
Weiberhelden. Und gar nicht weit entfernt, das
Grillparzer-Denkmal im Volksgarten: gilt das nicht
jenem Parteigänger der habsburgischen
Konterrevolution, der einen berühmten
Propagandagesang auf den blutigen Niederwerfer der
italienischen Freiheitsbewegung verfasste („In deinem
Lager ist Österreich …“). Und dann die an jeder Ecke
den Touristen aufgedrängten Mozartkugeln, die den
Namen eines in die Welt hinaustragen, der schon als
kleines Kind auf dem Schoß der Kaiserin saß und für
die Mächtigen aufspielte. Ganz zu schweigen von den
eigentlichen Kalibern der politischen Praxis:
Metternich-Palais und Metternich-Villa
(selbstredend!), das Belvedere, das sich dem
Türkenschlächter Prinz Eugen verdankt, die
Stephanskirche – sie steht unter der Patronanz eines
zwanghaften Heidenmissionars und unverbesserlichen
Sektierers (gut, der büßte immerhin mit Steinigung für
seine Umtriebe) – erfuhr ihre erste Weihe als
Eigenkirche des Landesfürsten, als dieser sich gerade
als leidenschaftlicher Kreuzfahrer gegen die
Seldschuken gerierte, und so weiter, und so fort. –
Welch ein Potential an Leerstellen! Mancher der
solcherart Erledigten wird das paradoxe Schicksal
verdient haben, ausradiert und zugleich an den Pranger
gestellt zu werden, mancher, den wir heute noch
brauchen könnten, gerät dabei eben unter die Räder …
Was soll’s? Der Zweck heiligt auch dabei die Mittel,
und so wichtig kann es schon nicht gewesen sein.
Fällt denn keinem von jenen Eiferern, keinem der an
ihrer Seite journalistisch Erregten auf, dass das Streben
nach politischer Hygiene im öffentlichen Raum und im
kulturellen Gedächtnis mit derartigen Akten schon eine
ans Närrische grenzende, jedenfalls Züge des
Grotesken und Absurden aufweisende Stufe erreicht
hat? – Adolf Hitler sei immer noch Ehrenbürger von
Amstetten, Braunau, Waidhofen an der Ybbs und Gott
weiß wo noch, geisterte es vor Wochen durch den
österreichischen Kosmos und bis nach Brüssel. „Josef
Weinheber weiterhin Ehrenmitglied der Akademie“,
titelt jetzt der „Standard“: Tinterljuchee**! (3) Wie man
mit Leerstellen das Sommerloch füllt …
Um keine Zweifel aufkommen zu lassen: Ich
persönlich bin der Auffassung, dass es eine kultivierte
und zivilisatorisch gefestigte Gesellschaft aushalten
muss, ja soll, auch solcher Protagonisten ihrer reichen
und vielschichtigen Geschichte öffentlich zu gedenken,
die hinsichtlich der politischen und sonstigen Moral,
der Gesinnung und Weltanschauung keine völlig reine
Weste besitzen. Vorausgesetzt, dass ihre sonstigen
Verdienste – wofür sie ihrer Profession nach eigentlich
stehen – dies rechtfertigen und sich ihre
„Verfehlungen“, gemessen an deren historischem
Umfeld, im verzeihlichen Maße bewegen. (Ich setze
das Wort „Verzeihung“ hier ganz bewusst.)
Ich persönlich bin aber auch für die Entfernung aller
Weinheber-Denkmäler und -Gedenktafeln, ja selbst der
Straßenschilder mit seinem Namen, überhaupt aller
störenden Zeichen der Erinnerung an die einstige
Verehrung und Wertschätzung dieses Dichters aus der
österreichischen Öffentlichkeit. Im konkreten Fall und
unter den gegenwärtigen Bedingungen halte ich
das allemal für besser. Weinheber selbst – auch
das steht für mich fest – hat es nicht nötig, dass
eine Nachwelt Denkmäler von ihm unterhält,
die ihm nur noch den einen „Ruhm“ zubilligt,
ein berüchtigter „Nazi-Dichter“ gewesen zu
sein, die mithin nicht in der Lage oder nicht
willens ist, anders als in der plumpesten aller
plumpen Vorurteilskategorien über ihn
„nachzudenken“, die nicht bereit ist, sich durch
eine auch nur irgendwie angemessene
Auseinandersetzung mit seinem Schaffen
darüber kundig zu machen, wen sie da in
Bausch und Bogen verwirft und von der
Erdoberfläche der ihr überkommenen und
anvertrauten Lebenswelt zu tilgen bemüht ist!
gez. Dr. Christoph Fackelmann m. p.
Vizepräsident der Josef Weinheber-Gesellschaft
Herausgeber der Literaturwissenschaftlichen
Jahresgabe der Josef Weinheber-Gesellschaft
Anmerkungen:
(1) Dessen Ideologie er, trotz zeitweiliger
Parteimitgliedschaft, zu keinem Zeitpunkt nahe
stand; schon 1936 spricht er z. B. im Hinblick
auf seinen unerwarteten Erfolg im
„nationalsozialistischen Deutschland“ von „der
deutlichen Inkongruenz zwischen meiner im
Werk dokumentierten Geistigkeit und den
augenblicklich die Gemüter bewegenden
Thesen von Blut und Boden“. – Es gibt
zahlreiche ähnliche Belege.
(2) Im Zuge der Jubiläumsfeier am 24. 10.
1942, zu der dieser Prolog, von Ewald Balser
gesprochen, dargeboten wurde, erfolgte die
Ernennung Weinhebers sowie einiger
einschlägiger politischer Würdenträger und
etlicher weiterer Künstler zu Ehrenmitgliedern
der Akademie.
(3) Zitat J. W., „Wien wörtlich“, in Anlehnung
an Karl Kraus.
Schließen Sie sich dem Protest an!
Richten Sie Ihre Stellungnahmen an:
Rektorat der Akademie für bildende Kunst
1010 Wien,
Schillerplatz 3
T +43 (1) 588 16-1818
F +43 (1) 588 16-1898
Dr. Stephan Schmidt-Wulffen
eva.blimlinger@uni-ak.ac.at
Bürgermeister der Stadt Wien
Dr. Michael Häupl
1010 Wien,
Lichtenfelsgasse 2, Stiege 5, 1. Stock
buergermeister@magwien.gv.at
T +43 1 4000 81111
F +43 1 4000 9982010
Wien - Kirchstetten, am 2. Mai 2011
Friedrich Jenaczek, der große
Weinheber-Forscher, ist tot.
Am Ostermontag, den 25. April 2011, verstarb
Dr. Friedrich Jenaczek in seiner Heimatstadt
München. Er stand im 93. Lebensjahr. Die
Beisetzung fand am Freitag, den 29. April, auf
dem Münchener Westfriedhof statt.
Die Josef Weinheber-Gesellschaft trauert um
ihr Ehrenmitglied. Mit Dr. Friedrich Jenaczek
ging der bedeutendste Weinheber-Forscher
des 20. Jahrhunderts von uns. Ihm verdankt
die Auseinandersetzung mit Werk, Leben und
Wirkung des Dichters so viel, daß es sich mit
wenigen Worten nicht ausdrücken läßt.
Am 18. Juli 1918 in Mähren geboren, studierte
Friedrich Jenaczek in Brünn, Prag und
München Germanistik, Slawistik, Geschichte
und Philosophie. Nach dem Krieg und einer
fast fünf Jahre andauernden
Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion
lehrte er, heimatvertrieben, am München-
Kolleg als Gymnasialprofessor. In den
fünfziger Jahren begann seine publizistische
Beschäftigung mit Josef Weinheber. Es
entstanden in rascher Folge bahnbrechende,
bis heute maßgebliche Studien,
Entwicklungsskizzen und
Einzelinterpretationen. Ihnen ist es
insbesondere zu verdanken, daß die
ästhetischen Grundlagen der Weinheberschen
Lyrik geklärt werden konnten. In Abkehr von
den älteren, diesbezüglich weitgehend im
Dunkel tappenden Bemühungen und in
kritischer Revision der damals tonangebenden
Weinheber-Arbeiten Josef Nadlers erhellten
Jenaczeks Beiträge erstmals das schwierige
Gebäude der Weinheberschen Poetik, das
“Sprachkunst”-Bewußtsein und dessen
konkreten Einfluß auf die Textgestaltung der
seit den frühen zwanziger Jahren
entstehenden neuartigen Gedichte und Zyklen.
In der langwierigen Rechtssache des
Weinheber-Nachlasses fungierte Friedrich
Jenaczek als verdienstvoller Gutachter. Er
erlangte Einsicht in die umfangreiche
Hinterlassenschaft und durchforschte die
erhaltene Arbeitsbibliothek des Dichters. Eine
lange Freundschaft verband ihn mit Gerda
Stadler-Janota, der Mutter von Weinhebers
einzigem Sohn und Erben. Der Otto Müller-
Verlag betraute den inzwischen führenden
Weinheber-Kenner mit der Neuausgabe des
Weinheberschen Gesamtwerks. Jenaczek
stellte in den seit 1970 erscheinenden Bänden
seiner Studienausgabe nach und nach die
gesamte Kenntnis der Werküberlieferung und
Textgeschichte auf ein neues Fundament. Die
zahlreichen, oft genug folgenschweren Fehler
und Irrtümer der von Nadler betreuten
Erstausgabe und Biographie konnten
schließlich unter Einbeziehung des gesamten
nachgelassenen Materials beseitigt werden.
Vielerlei Entdeckungen halfen, ein ganz neues
Bild von Josef Weinheber entstehen zu lassen
und eine Vielzahl an neuen Gesichtspunkten
und Erkenntnisperspektiven für das
Verständnis aufzutun. Die Kommentare und
Nachworte der Neuedition bilden bis heute
eine einzigartige Fundgrube. 1996 schloß
Jenaczek mit dem dritten Band, dem
insgesamt sechsten Teil, seine Edition ab. Im
selben Jahr gestaltete er die große
Weinheber-Gedenkausstellung in der
Österreichischen Nationalbiliothek in Wien.
Eng verbunden mit seinem lebenslangen
Interesse für Josef Weinheber war Friedrich
Jenaczeks Eintreten für Karl Kraus. Dem
österreichischen Satiriker und Dichter, der
entscheidend zu Weinhebers künstlerischer
Selbstfindung beigetragen hatte, widmete
Jenaczek seit den frühen sechziger Jahren
zahlreiche eingehende Studien. Im Jahre 1965
erschienen seine “Zeittafeln zur Fackel”, eine
Pionierarbeit systematischer Kraus-
Forschung. Jenaczek war auch hier vor allem
bemüht, die geistigen und künstlerischen
Fundamente für das Schaffen und Wirken
freizulegen und sie von den lastenden
Vorurteilen und Verkürzungen abzugrenzen.
Mit seinen oftmals durchaus polemisch
angelegten und mit großem kritischen Ernst
und geistiger Souveränität vorgetragenen
Plädoyers für Karl Kraus und Josef Weinheber
- beide waren für ihn nicht zu trennen - trat er
für das gegen den “Untergang der Welt durch
schwarze Magie” gerichtete Sprachethos
altösterreichischer Prägung ein - in einer vor
allem in Deutschland in den sechziger und
siebziger Jahren keineswegs
selbstverständlichen Weise. In enger
Verbindung mit eingefleischten “Krausianern”
wie Edwin Hartl oder Werner Kraft erwies er
sich hier als eine immens hellhörige
zeitkritische Kraft, deren diesbezügliche
Bedeutung es erst noch zu entdecken gilt,
zumal sie persönlich nie in den Vordergrund
drängte.
Zahlreiche weitere philologische und
historische Arbeiten begleiteten diese
Großprojekte, darunter eine Edition der
“Reden und Schriften” des Arbeiterführers
Ferdinand Lasalle (1970) sowie eine Reihe
von Grundsatzbeiträgen auf dem Gebiet der
Sprachtheorie und der Formästhetik.
Was Friedrich Jenaczek für das Werk und das
Andenken Josef Weinhebers getan hat, bleibt
trotz allen modischen Anfechtungen
unvergessen. Der Verlust könnte größer nicht
sein, doch können wir immerhin ermessen,
welch erfülltes und erfüllendes Gelehrtenleben
hier, fernab aller äußeren Ehren und Würden,
zu Ende ging. Unser Gedenken gilt einem
Menschen, dessen aufrichtige
Liebenswürdigkeit und nimmermüder Einsatz
ebenso zu berühren vermochten, wie sein
außerordentlich klarer Geist, die tiefe
Gedanklichkeit seiner Worte und sein
einmaliger Blick für die Wunder der lyrischen
Sprache die Herzen derer, die für die Kunst
leben, zu gewinnen wußten.
Christoph Fackelmann
Kirchstetten, im Jänner 2011
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Josef Weinheber-
Gesellschaft!
Das vergangene Jahr war für die
Gesellschaft vor allem von Vorbereitungen
und Konzeptarbeit geprägt. Neben der
alljährlichen Lesung in der Weinheber-
Gemeinde Kirchstetten, die auch 2010
wieder auf großen Zuspruch stieß,
widmeten wir uns besonders der noch
ausständigen Überarbeitung und
Vervollständigung unseres Josef
Weinheber gewidmeten Internet-Auftritts.
Seit dem Sommer ist die dank der
fachmännischen Mithilfe von Herrn
Christian Orou erneuerte „Homepage“ nun
allgemein zugänglich, eine moderne
Visitenkarte unserer Gesellschaft und ihrer
Anliegen und Aktivitäten. Mancherlei
Zustimmung veranlasst uns auch, die seit
längerem vorgesehene Öffnung der
Netzseite für die Ergebnisse der
Aufarbeitung des Weinheberschen
Nachlasses, insbesondere für die
Dokumentation der Quellen zur
Korrespondenz, voranzutreiben. So wird in
Kürze ein erster Abschnitt unter Einschluss eines
umfangreichen einführenden Überblicks zur
Verfügung gestellt. In weiterer Folge sollen diese
Ergebnisse freilich nicht auf die Datenbankform
beschränkt bleiben, sondern wie angekündigt
auch in unsere „Literaturwissenschaftliche
Jahresgabe“ einfließen und somit in Buchform
zugänglich gemacht werden.
Die vergangene Planungsphase führte dazu,
dass wir Ihnen schon für das heurige Jahr eine
Reihe von Veranstaltungen und Vorhaben
ankündigen dürfen. Mit dem folgenden Überblick
möchten wir Ihnen diese Programmpunkte ans
Herz legen und Sie im Interesse unseres
Dichters zur regen Beteiligung einladen.
● Gleich im Februar eröffnet das Weinheber-
Jahr 2011 eine Künstlerlesung besonderer Art,
die das vielschichtige Werk des Dichters anhand
der zentralen Themenkreise „Kunst“ und „Heimat
Wien“ näher bringen möchte:
Sonntag, 13. Februar 2011, 12:00 Uhr
Theater SPIELRAUM, Kaiserstraße 46, 1070
Wien
„ÜBER ALLE MASZE ABER LIEBTE ICH DIE
KUNST“.
Lyrik und Prosa von Josef Weinheber
(1892–1945)
Literarische Matinée
Es lesen Verena Noll und Jürgen Pfaffinger
Einleitende Worte von Dr. Karl J. Trauner
Kartenreservierung (auf Wunsch auch für das
Frühstück ab 11:00 Uhr) unter der
Telefonnummer: 01/713 04 60-60 oder
elektronisch unter:
http://www.theaterspielraum.at/karten
Kartenpreise: € 12,- (ermäßigt: 10,-); mit
Frühstück (bitte unbedingt reservieren!): 17,-
(15,-)
● Schon im November und Dezember des
vergangenen Jahres haben wir darauf
aufmerksam gemacht, dass sich auch das
kleine, ambitionierte Theater L.E.O., Wiens
„Letztes Erfreuliches Operntheater“, der
Gedichte Josef Weinhebers angenommen hat.
Nun wiederholt Martin Haidinger seine Lesung
im Frühjahr 2011 und spannt wieder den Bogen
von „Wien wörtlich“ über die reiche Wiener
Skizzenliteratur (Rudolf Stürzer, Alfred E.
Forschneritsch u. a.) bis zur Wiener
Mundartdichtung der Gegenwart:
Freitag, 4. 3. 2011, und Mittwoch, 6. 4. 2011,
jeweils 20:00 Uhr
Theater L.E.O., Ungargasse 18, 1030 Wien
„WIEN WÖRTLICH. ORIGINALTÖNE EINER
STADT“
Literarisch-musikalische Revue
Es liest Martin Haidinger
Musikalische Beiträge von Elena Schreiber und
Julian Torres
Kartenreservierung unter der Telefonnummer:
01/712 14 27; weitere Informationen unter:
http://www.theaterleo.at
Kartenpreise (inkl. Brot und Wein): € 20,-
(ermäßigt: 10.- / 13,-)
● Vor dem Sommer steht außerdem ein weiterer
Vortragsabend im Rahmen unserer vor zwei
Jahren initiierten Reihe „Weinheber
wiederlesen“ auf dem Programm. Diesmal sind
wir zu Gast bei dem traditionsreichen Verein
„Muttersprache“, Wien. Der Abend wird sich dem
Thema „75 Jahre ,Späte Krone‘“ widmen:
Dienstag, 31. 5. 2011, 19:00 Uhr
„Treffpunkt Kultur“ im Schulvereinshaus,
Fuhrmannsgasse 18 A (Erdgeschoß), 1080 Wien
„ICH WOLLTE MEINEM LAND DIE SPRACHE
WAHREN / UND BIN EIN DÜSTRER
NIEMAND DIESEM LAND.“
Vor 75 Jahren erschien „Späte Krone“ von
Josef Weinheber
Festvortrag von Dr. Christoph Fackelmann
Aus Anlass der Jahreshauptversammlung des
Vereines „Muttersprache“
mit anschließender Gelegenheit zur Diskussion
Information unter der Telefonnummer: 01/405 98
07. – Freier Eintritt
● Natürlich kommen wir auch heuer im Herbst
wieder in Kirchstetten zur traditionellen
Weinheber-Lesung von Ulli Fessl und Peter
Uray zusammen. Zu dieser Veranstaltung
erhalten Sie wie gewohnt noch eine gesonderte
Einladung.
● Zum Ausklang des Jahres 2011 möchten wir
den Mitgliedern der Josef Weinheber-
Gesellschaft ein neues Bändchen der
„Eckartschriften“ als Jahresgabe überreichen:
Darin setzen sich Karl J. Trauner und
Christoph Fackelmann mit vergessenen
Dichtern der deutschen Literaturgeschichte des
20. Jahrhunderts auseinander und erinnern an
einstmals berühmte Werke, die aus dem
Gedächtnis unserer Zeit weitgehend
verschwunden zu sein scheinen. Neben
Hermann Löns, Franz Karl Ginzkey, Franz
Spunda und Paula Ludwig wird darin auch
Josef Weinheber und seinem großen
Durchbruch mit dem Buch „Adel und
Untergang“ (1934) ein ausführliches Kapitel
gewidmet sein.
Zuletzt sei ein Ausblick auf die etwas fernere
Zukunft gestattet: Im Jahr 2012, in dem sich der
Geburtstag Josef Weinhebers zum 120. Mal
jährt, soll u. a. ein weiterer Band unserer
„Literaturwissenschaftlichen Jahresgabe“
erscheinen, der in Inhalt und Umfang diesem
Jubiläum gerecht wird. Für 2013 oder 2014
schließlich ist die Fortsetzung der
kommentierten Neuausgabe der Werke Josef
Weinhebers in Einzelbänden angestrebt.
Diesmal steht, wie bereits angekündigt, die
Sammlung „Kammermusik“ – vielleicht Josef
Weinhebers schönstes Buch, das 2014
fünfundsiebzig Jahre alt wird – auf dem
Programm.
Wie immer bitten wir die Mitglieder der Josef
Weinheber-Gesellschaft und alle Freunde des
Dichters und seines Werkes um die
Unterstützung unserer Vorhaben in Wort und Tat.
Wir leben in einer Zeit, in der auch die
Erinnerung an Josef Weinheber immer stärker in
die Mühlen des modernistischen Kulturverlustes
und unter die Räder der sog.
Vergangenheitsbewältigung als eines
Instruments politischer Machtinteressen zu
geraten droht. Gerade im öffentlichen Raum war
das im vergangenen Jahr deutlich zu
beobachten, als sich etwa während des
Wahlkampfes in Wien die Partei der „Grünen“
über die Gedenktafeln im 16. Gemeindebezirk
(Hasnerstraße 134 und Josef Weinheber-Hof in
der Koppstraße) empörte, als dasselbe Lager für
eine „politisch korrekte“ Umgestaltung des
Weinheber-Denkmals auf der Feihlerhöhe in der
Wienerwaldgemeinde Purkersdorf eintrat oder
als eine politische Initiative mit Unterstützung
des Rektorats der Akademie der Bildenden
Künste in Wien gar für die Beseitigung bzw.
Veränderung des Weinheber-Denkmals auf dem
Schillerplatz mobilisierte. – Bitte, helfen Sie mit,
diesen und ähnlichen Umtrieben
entgegenzutreten, die unter dem Vorwand der
Aufklärung und der politischen Hygiene die
Landnahme des öffentlichen Lebens für ihre
eigenen, ebenso engstirnigen wie
selbstgerechten Zwecke betreiben! Hier ist jeder
einzelne Freund des Dichters Josef Weinhebers
gefordert, sich auch als Bürger für einen
besonnenen und vorurteilsfreien Umgang mit
den Zeugnissen unserer Geschichte und für ein
kunst- und geistfreundliches Gedächtnisklima in
unserer Gesellschaft einzusetzen.
[...]
Wir würden uns freuen, wenn Sie von unserem
Angebot Gebrauch machen und unsere
Veranstaltungen in Wien und Kirchstetten besuchen
würden.
Ihr Christian Weinheber-Janota e. h.
Präsident der Josef Weinheber-Gesellschaft
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