© 2019 Josef Weinheber-Gesellschaft  Die gesamten Inhalte dieser Website sind urheberrechtlich geschützt   In seinem „Abschiedsbrief“ vom 9. 3. 1945 an Gerda Janota, die sich damals mit beider Sohn in Linz aufhält, blickt Josef Weinheber kurz vor seinem Tod und unter dem Eindruck der sich gewaltig vollziehenden und bereits auf niederösterreichischen Boden übergreifenden Kriegskatastrophe auf sein Werk zurück und erwägt noch einmal aus eigener Perspektive dessen Bedeutung:   [...] Ich denke in diesen Tagen äußerster Not viel nach über das Äußerste des Menschen und schreibe das – in nicht ganz klassisch gepflegten Epigrammen, muß ich sagen, nieder. Du siehst wohl, wie fliehend ich schreibe – wie ein Paralytiker im Anfangsstadium – das ist das Ergebnis dieser Schreckenstage. Ich will Dir aber das Herz nicht schwer machen. „Das Abendland trug letzte Frucht – so schweige, wer reden kann.“ [Zit. aus Schlußghasel in Hier ist das Wort, SW II 633.] Aus Deinem Brief klingt ein mutiger und entschlossener Ernst, und so liebe ich Dich am meisten. Jeder sieht natürlich in sich und seinen Kindern das Wichtigste der Welt. Aber das Ich ist in Augenblicken solcher entscheidenden Menschheitskrisen nicht mehr gefragt. Es wirken Größen, oder besser, von längerher wirksame Kräfte. Alles Zurückgestaute dieses Kontinents will durchbrechen. Krankheiten des Europäers, 2000 Jahre mitgeschleppt, vertuscht wie eine Geschlechtskrankheit, (und an was sonst als an Geschlechtskrankheiten geistiger Art leiden wir Europäer!) stehen im Krisenzenit. Spengler hat hier vorgewußt und auch vorausgesagt. Auch ich: „hebt die Vollstreckerhand und gibt das Zeichen. Was zu lösen nimmer erlaubt, es zu tilgen, schlägt er mit Nacht die Stirn - -“ [Zit. aus Zwischen Göttern und Dämonen, Ode 1, SW II 407.] Ich habe überhaupt, wenn ich in diesen entscheidenden Tagen mein Werk – und ich kann kein anderes mehr ohne es als Bagatelle zu empfinden, ansehen – durchgehe, die Empfindung, daß hier Dinge mit einer traumwandlerischen Klarheit gesagt worden sind, wie nie vorher. Du kannst das nachprüfen. Ich bitte Dich – Du erinnerst mich im Kopf Deines Briefes an Michelagniolo – die Sonette an die Nacht [in Späte Krone, SW II 315ff.] zu lesen. Du wirst sie jetzt anders lesen. Das Gläserne ihrer Diktion (gleichbedeutend mit erkennender Aussage), wird Dir jetzt erst zu Bewußtsein kommen. Auch das Vor-Gedicht dazu: Die Nacht ist groß: „Aufhalten kann ich nicht etc.“ [In Späte Krone, SW II 314.] Als ich das alles schrieb, habe ich an dem, was jetzt geschieht, gelitten. Jetzt bin ich gelähmt, vom Leiden nicht mehr gesegnet. Denn: „Was geschieht, lebt wilder denn das Geschaute. Wo ein Herz schlägt, wird es gebrochen. Jede Welt gebiert sich aus Morde.“ [Zit. aus Sache des Sängers in Adel und Untergang, SW II 17] Wirst Du mich, die mir so nahe ist und der ich so nahe bin, endlich verstehen? Auch die unvermeidlichen Brüche in einer solchen Selbstdarstellung des Humanen, wie sie etwa dargestellt sind in dem sprachlich eleganten, aber vollkommen der Zeit dienenden „Hymnus auf die Heimkehr“ [s. SW III 411ff.]? Das alles mußte, weit weg von einer geschlossenen inneren Form, gesagt, herausgesagt werden, mit dem Gefühl, daß die Zeit nicht mehr reichen würde, Kuppeln der inneren Proportion zu bauen. Du bist einer der wenigen Menschen, die es wissen, wissen könnten, wie wenig Klassiker ich bin. Klassisch ist meine äußere Form: Ein Schutzmittel, eine 1945: An Gerda Janota weiter Anhang Spätwerk