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Anfänge und frühes Werk
Ärmlichen kleinbürgerlichen Verhältnissen
entstammend und früh verwaist, entwickelt sich
Weinhebers intellektuelle und künstlerische
Persönlichkeit hauptsächlich in autodidaktischer
Eigenwilligkeit, im Kampf mit einem denkbar
ungünstigen Milieu. Die 1912 einsetzende frühe
Phase seines lyrischen Schaffens wird später als
„Gehirnreimerei“ [1] ästhetisch verworfen,
entfaltet aber thematisch und motivisch bereits
einen großen Teil des späteren Spektrums. Im
Zentrum stehen Grundfragen des Künstler-Ichs
im Verhältnis zum weiblichen und zum
göttlichen Du, die, meist in zyklischen
Kompositionen, mit religiöser, allerdings nicht
konfessionell festgelegter Leidenschaft immer
von neuem gestellt und spekulativ beantwortet
werden. Die Leitvorstellungen ergeben sich aus
der Sehnsucht nach geistiger Höherentwicklung
des Menschen (einer ursprünglich
spiritualistischen Evolutionsvorstellung) und
kreisen somit um Möglichkeit bzw.
Unmöglichkeit einer künftigen ethischen
Revolution. Natur- und soziales Elendserleben –
Motivbereiche, die eine große Rolle spielen –
treten nicht um ihrer selbst willen hervor,
sondern werden als Funktionen dieses
weltanschaulichen Grundimpulses
begriffen. Den geistigen Werdegang
des jungen Weinheber, seinen
literarischen Horizont und das Milieu
seiner künstlerischen Anfänge helfen
insbesondere einige umfangreiche
Briefwechsel verstehen, die er mit
weiblichen Briefbekanntschaften
sowie mit einzelnen Personen aus
seinem Freundeskreis während
deren Abwesenheit aus Wien führt;
sie wurden zumeist erst lange nach
dem Tod des Dichters entdeckt bzw.
ausgewertet. Dazu zählen die
Korrespondenz mit Raimund Wagner
und Leopoldine (Poldi) Kiridus (ab 1914) die
Korrespondenz mit Hilde Zimmermann aus
Wagstadt bei Troppau (1916) sowie die
Korrespondenz mit Emma Fröhlich (ab 1917),
einer Jüdin aus der Leopoldstadt, und mit deren
Freundinnen Eva (Szerén) Vas aus Budapest
(1918) und Marie (Manni) Neuwelt (1918/19).
Eine wichtige Rolle spielt auch die Bekanntschaft
mit der Bildhauerin Irmgard Stuart-Willfort (ab
1916), in deren kleiner Villa in Gersthof
Weinheber häufig verkehrt. Sie modelliert eine
nachmals berühmte Büste des jungen
Dichters. Mit Emmy Fröhlich, deren
Beziehung zu Weinheber für diesen das
Zentrum seines geistigen Austauschs in
den frühen Jahren bildet, geht er 1919
eine Ehe ein, die allerdings schon 16
Monate später, an den unterschiedlichen
Lebenskonzepten der beiden
gescheitert, wieder geschieden wird.
Indem der aufstrebende Dichter diese
Korrespondenzen zu großen Teilen für
die Reflexion seines eigenen Denkens
und Schaffens nützt, machen sie u. a.
auf wichtige Quellen für seine durch die
Suche nach unorthodoxen Zugängen
bestimmte Auseinandersetzung mit religiösen
Fragen aufmerksam, wie auf die Leben-Jesu-
Darstellungen von Ernest Renan und David
Friedrich Strauß oder den spiritualistischen
Traktat Der Unfug des Sterbens von Prentice
Mulford. Auch die intensive Lektüre der Bibel
selbst tritt deutlich zutage. Schon während des
Ersten Weltkriegs wird das Erlebnis der Fackel und
der regelmäßig besuchten Vorlesungen von Karl
Kraus prägend, sodaß etwa die „Kriegsfackeln“
weiter
Anhang
Spätwerk
Porträtbüste des jungen Dichters
von Irmgard Stuart-Willfort, 1916
(1) Brief an Leo Perutz vom 24. 9. 1923,
WN V 43