© 2019 Josef Weinheber-Gesellschaft  Die gesamten Inhalte dieser Website sind urheberrechtlich geschützt   In seinem „Bekenntnisbrief“ vom 29. 4. 1916, gerichtet an den Freund Raimund Wagner, dessen Bekanntschaft Josef Weinheber in der Abendschule „Freies Lyceum“ machte, nimmt der junge Dichter auf eine seiner frühen zyklischen Arbeiten, die unveröffentlicht blieben, Bezug und formuliert dabei die Grundzüge seiner damaligen Weltanschauung:      [...] Ich habe Dir auf meiner vorigen Karte geschrieben, daß ich einer Periode der Untätigkeit verfallen bin. Das ist jetzt wieder vorbei: Ich habe wieder ein Ziel, auf das ich losgehen kann: Den Cyklus von „Tag und Traum“ [d. i. Zwischen Tag und Traum, auch: Erlöser Geist, s. SW I/1 73ff.] ans Ende zu führen. Zu suchen, inwieweit die Zukunft, inwieweit der Mensch der Zukunft die Begriffe Gott und Ding, Wirklichkeit und Schein, Tag und Traum in eins zu bringen imstande ist. Denn ich glaube, wenn wir soweit sein werden, dies zu können, dann ist das Ziel aller Dinge, aller Träume, ist alles erreicht. Dann muß das, was wir heute als „Leid“ und „Tod“ bezeichnen, nur mehr ein böser Klang aus der Menschheit dunklen, unvollkommnen Tagen sein. Und ich glaube auch, daß nichts Wesentliches auf die Dauer der grübelnden Sehnsucht des Menschen verborgen bleiben wird. Und daß das Wesentliche nicht (wie viele heute glauben) ein Erfinden von Tauchbooten, Luftschiffen und Kanonen raffiniertester Construktion [ist], sondern in jenen Werten und Verhältnissen liegt, denen mit mir heute nur wenig andre nachsinnen. Unser aller heißeste Sehnsucht war, ist und wird immer in dem einen Wort gipfeln: „Glück.“! – Je unvollkommener der Mensch, desto unvollkommener sein Begriff von Glück, desto kleiner infolgedessen sein Glück selbst. Daß wir aber trotz aller Rückfälle (die sich überall in der Natur finden) immer nach aufwärts steigen, ist erwiesen. Je lauterer, durchgeistigter wir durch die Zeiten werden, desto mehr Glück muß unser Leben bedeuten. Das ist eine einfache, logische Folge. Unser einzig Göttliches liegt in der Entwicklungsmöglichkeit. Muß nicht einmal eine Zeit kommen, deren Menschen staunen werden über die Robustizität unseres Denkens, unserer Sinne, unserer menschlichen Einrichtungen überhaupt? Muß nicht eine Zeit kommen, in der der Geist alles ist? Was wissen wir heute über unsre geistigen Beziehungen zueinander und zu den Dingen? Was über all die unbegreiflichen Zusammenhänge aller Wesen (und Dinge, denn auch sie sind Wesen) zueinander? Heute sind wir noch nicht weiter, als daß wir unsere Einsamkeit, unsere Zusammenhangslosigkeit, die nichts anderes als Unvollkommenheit und Mangel an Geistigkeit ist, klar erkannt haben. Was aber wissen wir „von den Dingen, die dahinter liegen?“ Und uns „Träumer“ die wir die wahrhaft Tätigen, die wirklich Bauenden sind, uns verhöhnt man! Und doch muß eine Zeit kommen, die die „Träume“, die Gefühle unserer Größten von heute zum Tag, zur Wirklichkeit macht. Eine Zeit, die unsere albernen, kümmerlichen Begriffe von „Glück“, „Gott“, „Leben“ nicht mehr kennt, weil in ihr diese Begriffe in ihrer höchsten Vollendung eins geworden sind, sich in ihren Wesen (nicht nur in ihren Menschen!) verwirklicht haben. - - Du schreibst mir: „Ich werde Gott nicht finden.“ Abgesehen von der dunklen Erinnerung an eine Fabel von einem, je länger er über Gott nachdachte, desto weniger Klarheit erlangte, von dieser Erinnerung, die Dich bei Deinem Wort beeinflußt hat, so muß ich Dir doch eines 1916: An Raimund Wagner weiter Anhang Spätwerk