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mit der Wendung der Theologie in Anthropologie,
Ernest Renan. Ihr Impuls, in eine Formel
gefaßt, lautet: Der menschliche Geist -
Erscheinungsweise eines werdenden Gottes; das
Sein und Werden Gottes - gebunden an den
menschlichen Geist. Solche Logos-Gleichung von
Gott und Geist fundiert Weinhebers "tragischen
Humanismus" noch in den dreißiger Jahren. In
ihnen setzt er, mit Karl Kraus' Sprachauffassung
als Basis: Gilt der Satz, daß Sprache
Materialisation, "Wirklichkeit des Geistigen" ist,
so gilt auch der Satz "der Geist wäre nicht ohne
die Sprache", - ohne den Logos, der den
Menschen von aller übrigen Kreatur unterscheidet
und zu seiner Höherentwicklung aufruft. Dieser
Gedankengang läßt, einerseits, Weinheber die
"Sprachkunst" der Hauptwerke über die am
Stofflichen orientierte "Gehrinreimerei" seiner
Jugendwerke stellen; er zeigt, andererseits, die
Einheit des Gesamtwerks.
Das erste Gedichtbuch, Der einsame Mensch
(1920), bleibt unverkauft. 1929 wertet es
Theodor Lessing als ebenbürtig den Gipfeln
proletarischer Lyrik - Jiří Wolker, Fráňa
Šrámek, Petr Bezruč. Inzwischen aber hat
Weinheber auf den Mißerfolg durch die "Wendung
zur Sprache" reagiert; er strebt danach, seine bis
dahin thematisch ausgerichtete Kunst fortan in
den Strukturgesetzlichkeiten ihres Materials, der
Sprache, zu begründen: Von beiden Ufern
(1923), Boot in der Bucht (1926). Er will das
finden, was ein Gedicht zum Gedicht mache, und
geht aus von Trakl (Kontakte mit dessen
Schulfreund Erhard Buschbeck) als dem
Gegenpol seiner eigenen zu direkten Aussage und
von dem Sprachdenken Karl Kraus'.
Theoretische Äußerungen, nicht zahlreich oder
relativ spät, erlauben es dennoch (insbesondere,
wenn der geistesverwandte Strukturalismus Jan
Mukařovskýs zu Rate gezogen wird),
Weinhebers Praxis zu dechiffrieren. Er
unterscheidet zwischen Präszision der Aussage
und Präszision der Gestaltung. Sein die Versuche
der Moderne so voraussetzendes wie
überholendes Verfahren will - wie diese - das
Automatenhafte der Nutz- und Gebrauchssprache
auflösen, ohne jedoch lexikalischen Preziositäten
den Vorrang zu geben oder Besonderheiten der
Wortbildung und Grammatik oder Äußerlichkeiten
wie Schreibung und Zeichensetzung. Es gibt auch
keine verfremdende (deformierende) Dominante;
vielmehr verstärkt Weinheber die
bedeutungsmäßige Funktion aller nicht-
denotativen Sprachmittel, von den
phonologischen Elementen aufsteigend über
Euphonie, Intonation, Metaphern, Figuren, Reim,
Syntax und Rhythmus bis zur Vielheit der
(deutschen, romanischen, antiken)
Gedichtformen. Die Form an sich wird begriffen
als die Verdichtung semantischer
Wechselseitigkeit, als Ineinander und
Verschränkung aller dieser Komponenten des
Gedichts [4], so daß die Konnotationen nicht
mehr bloße Begleitung der Denotationen sind.
Weinheber integriert sie auch nicht nur als deren
Gegengewicht: sie werden konstitutiv, ihr
Verweisungszusammenhang begründet das
Gedicht. Es appelliert, dies hat Kraus gelehrt, an
das Vorstellungsvermögen des Lesers, nicht nur
an sein "Verstehen" (Dilthey). Ent-formalisiert
(d. h. nicht mehr Einkleidung von Inhalten), wird
es auch ent-psychologisiert: es ist nicht als
"Ausdruck" (Croce) eines "Gefühls" zu begreifen,
Struktur bricht das vulgäre Monopol des
Vokabulars, des Wortbestands. "Ihre Heroische
Trilogie las ich mit Freude [...] in meiner
Bewunderung ist ein großer Schmerz um Ihre
Hoffnungslosigkeit [...]", schrieb Theodor
Lessing über diese Entwicklung der Lyrik
Weinhebers (Anfang Nov. 1930 [5]). Das
Sprachkunstwerk resultiert, bei Relevanz im
Humanen, aus der Polarität von Diktion und
Gestaltung; der Weg muß, konsequent zu Ende
gegangen, zu dem Versuch einer dichterischen
Poetik in Beispielen führen, die - Hier ist das
Wort (postum, 1947) - das Können am Maßstab
des Menschlichen prüft. Weinheber ist sich seiner
Gefährdung bewußt: "In einem erniedrigenden
Ringen um Anerkennung, zwanzig Jahre lang,
wuchs er künstlerisch zu einer Größe, der sein
menschlicher Habitus nicht nachkam, und als ihn
über Nacht der Ruhm antrat - bald nach 1933 -,
ging der Mensch an dem zweischneidigen Erfolg
zugrunde. Jahrzehntelang wurde er verkannt,
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(4) Vgl. Friedrich Jenaczek: Resultate
eines lyrischen Experiments, in:
Jahresgabe 1960, Josef Weinheber-
Gesellschaft Wien, S. 10-50, u.
Jahresgabe 1961, S. 33-53; überarb.
Fssg. in SW III 558-577: "Die
Trommel". Versuch in nachgestaltendem
Lesen.
(5) Siehe den Kommentar SW I/2 496f