© 2019 Josef Weinheber-Gesellschaft  Die gesamten Inhalte dieser Website sind urheberrechtlich geschützt   Spätwerk Schluß auf eine geistige oder künstlerische Nachfolge zu. Es können (sogar in unserer Zeit), in zwei verschiedenen Ländern und bei verschiedenen Lebensaltern zwei Menschen Männlichkeit und Haltung miteinander gemeinsam haben, ohne sich notgedrungen kennen oder lieben zu müssen oder sonst zueinander in irgend einem Konnex zu stehen. Und was Sie als Gemeinsames empfinden, ist nichts anderes als die strenge Haltung inmitten einer Rotte von Halbschlächtigen, von Nachsassen, von Durchschnittskünstlern. Sie leiten aus einem Gedicht Georges, das ich überhaupt nicht kenne, eine Steigerung ab, von der eine meiner Oden ihren Impetus empfangen haben soll. Nein, das dürfen Sie nicht! Sie müssen sich mit der Vorstellung vertraut machen, daß hier, in meinem Werk, ein Mensch aus sich heraus, ohne Anlehnung, nur seinem nachtwandlerischen Gefühl um Figur folgend, dem überdimensionierten Temperament Wort und zwar gemäßes Wort (Wort mit Maß und Bändigung) verleiht. Wenn Sie unter einer derartigen schöpferischen Erscheinung einen Neoklassizisten sehen, so kann ich das nicht verhindern. Aber der Widerspruch wird Ihnen sogleich einleuchten, wenn ich Ihre eigenen Worte zu meiner Charakterisierung miteinander konfrontiere. Sie sprechen mir einerseits „schlechthin genialische Wortgewalt“ zu. Andererseits nennen Sie mich den bedeutendsten Neoklassizisten der Österreichischen Gegenwartslyrik. Nun ist genialische Sprachgewalt, die ich mir wahrhaftig zutraue, durchaus primär. Sie ist der Ausdruck für die innerliche Gewalt des Künstlers. Nur der Gewaltige hat Sprachgewalt. Es läßt sich also – von einem sonstigen Schwächling – Sprachgewalt nicht lernen, nicht anlesen: Weil sie eben urverbunden (genialisch) mit dem Wesen des Künstlers, eben eine primäre geistige Tatsache ist. Neoklassizismus ist tertiär. Im Anfang war die Klassik. Ihre Nachahmer heißen Klassizisten. Die Nachahmer der Klassizisten heißen dann wohl Neoklassizisten. Ich müßte mich also über Klopstock, Schiller und Hölderlin entwickelt haben, was durchaus falsch, und in Anbetracht eines derart singulären und maskulinen geistigen Komplexes, wie es der meine ist, geradezu widersinnig ist. Mann könnte mich mit dem gleichen Recht (und Unrecht) einen Neohumanisten nennen, weil ich Sonette und Terzinen schreibe, Dante und Michelagniolo als große Manen verehre, die Kunstanschauung des neunzehnten Jahrhunderts (als dem Ausläufer des humanistischen Gedankens) der verrotteten des zwanzigsten Jahrhunderts vorziehe, mich dem „mediterranen Klima“, also der lateinischen Exaktheit gegenüber der deutschen Trübe und der österreichischen Defektheit angepasster fühle: Man könnte mich mit dem gleichen Recht (und Unrecht) einen Neopersizisten nennen, weil ich eine Menge Ghaselen und persische Sinnsprüche –: oder einen Neogotiker, weil ich – natürlich auch – deutsche Holzschnittverse über Gott und die Welt geschrieben habe. Ich lebe, gezwungen durch die mir aus dem allgemeinen Verschweigen meiner Leistung erwachsene Kampfstellung, in einer heroischen Luft. Ich fühle mich als Einzelner gegen meine ganze Zeit stehen. Die Begriffe von Heldentum, Adel, Opfer und Ausnahmeschicksal sind mit dem Stempel stündlichen Mißbrauchs meiner Menschen- und Künstlerwürde unauslöschlich in meine Seele gestampft: Wie anders als in heroischen Formen sollte ich heroischen Seelenstoff bilden, verbildlichen! Und bin ich, Weinheber, etwa zu Klopstock gegangen? Oder zu Hölderlin? Nein! Ich schrieb Sapphische Strophen, bevor ich Hölderlin kannte! Und ich schreibe sie heute, wo ich unser aller Vorbild, die heiligen Strophen der Aphroditeanrufung von der Sappho selbst kenne, mit dem unumstößlichen zurück Anhang Spätwerk weiter