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Spätwerk
Bewußtsein, als Erster, neuerlich als Erster,
Aeolisches Lied den Deutschen gebracht zu
haben. So wie Horaz es von sich und für Italien
sagen durfte:
... es humili potens
princeps Aeolium carmen ad Italos
deduxisse modus ...
Ich möchte, da ich von [Leopold] Liegler gehört
habe, daß Sie sich mit meiner künstlerischen
Erscheinung auch anderweitig und in breiterem
Maße befassen wollen, und da ich annehme, daß
Sie sich hiebei an die Methoden einer
wissenschaftlichen Deduktion zu halten
gedenken, einiges Richtige über mich sagen:
Ich bin philosophisch von der Stoa beeinflußt,
neige dem wissenschaftlichen Pessimismus zu
und liebe infolgedessen Schopenhauer, von
dessen Aphorismen zur Lebensweisheit ich einen
starken Trost empfange. Sprachlich habe ich
mich an Karl Kraus geschult, wenn ich hierunter
die Sorgfalt um ein richtiges Deutsch, um das
Grammatikalische und Dialektische der Sprache
verstehe. Der Verführung, mich im Poetischen
Duktus, in der äußeren Form, im leider so leicht
erlernbaren Tonfall an ihn anzulehnen, habe ich
mich frühzeitig widersetzt und entwunden.
Gedichte wie „Weib und Künstler“ [s. SW II 241,
Vereinsamtes Herz], „An eine Gefallene“, „Feuer
des Ursprungs“ [s. SW III 149f.] sind Beispiele für
diese Anlehnung, die ich immer als mich
entehrend empfand, während ich mit dem
eigentlichen Sprachgewinn, dem Sprachgewissen,
das mir durch Karl Kraus zugewachsen ist,
dankbar mein Werk fundiert habe (als
entnommen, aber mir zueigen geworden).
Während beispielsweise Felix Braun, der als
großer Dichter ausgeschrieen ist, einfach die
Melodie von Rilke abhörte, um seine
schwächlichen Gefühle darein zu gewanden und
ohne sich auch nur mit einem halbwegs eigenen
Ton um sein eigenes Wesen zu bemühen (Weil es
nicht existiert).
Hier ist es vielleicht [...] auch am Platz, darauf
hinzuweisen, daß ich in der wüstesten Zeit des
Expressionismus (der die gleiche jüdische
Erfindung ist wie heute der neue „epische
Realismus“ eines [Theodor] Kramer: tollwütiges
Seelenunvermögen des sekundären Menschen),
daß ich in dieser wüstesten Zeit deutscher
Geisteserniedrigung bewußt nicht mittat, wie
meine damals (1920) in der Muskete erschienene
Parodie auf das Werfel’sche Versgestammel [s.
SW I/2 71f., Dichtung in Nacht] schon rein
äußerlich bewiese, wenn nicht mein bis zu dieser
Zeit vorliegendes Werk deutlich die bewußte
eigene Bahn abspiegeln würde. Ich wurde damals
von den Dummköpfen, die die literarische
Meinung machen, als „Mörikeepigone“ verachtet,
als hoffnungsloses Armitschkerl mit normalem
Satzbau vornehm übersehen. Aber die rabiaten
Größen von damals (die freilich wenigstens noch
Größe mimten) sind tot, fortgeblasen von der
immanenten Gerechtigkeit der Schöpfung, die
alles Naturwidrige vernichtet. Ich hingegen fange
gerade mit den damaligen Gedichten jetzt zu
leben an, wie ich aus manchen anerkennenden
Stimmen aus jüngster Zeit ersehe, die eben jene
Gedichte goutieren, welche ich mitten im
Expressionismus und in der Abwehr gegen ihn
geschrieben habe. (während man natürlich meine
heutige Odenlyrik einen düster individuellen
Schwulst nennt, nachdem ich jetzt wieder auf die
neue Sachlichkeit huste.)
Ich komme nach dieser Exkursion zurück zu der
Frage meiner Abhängigkeit von großen Vorbildern.
Habe ich mich nun von dem Zauber Kraus’scher
Versdialektik bald zu entziehen vermocht, so blieb
mir, lange noch, eine einzig eigenartige Melodie
als nicht in mir Gewachsenes haften: Die
sechszeilige Zuchthausballadenstrophe von Oskar
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