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Spätwerk
Wilde. (Der einsame Mensch). Ich habe mich
ihrem dämonischen Einfluß auf mich, ihrer
wuchtig dramatischen und das Herz
gefühlswund bloßlegenden Lyra bis heute nicht
ganz entziehen können, obwohl ich weiß, daß
sie, weil von außen kommend, meiner
künstlerischen Eigenbeständigkeit abträglich ist.
(Zum Unterschied von der Antiken Strophe, die
als vollendete, nie wieder erreichte Form für das
Heroische das schlechtweg Gegebene für einen
heroischen Gefühlskomplex in allen Zeiten und
in allen Sprachen darstellt. [Am stärksten
freilich im Deutschen.]) Aber die zutiefst
religiöse Einstellung in meiner heutigen Kunst,
die sprachlich letzte Sammlung sowie das
Bemühen, mich darin auch menschlich zu
vollenden, verdanke ich: In dem priesterlichen
Ernst, der Hoheit und Weihe dichterischer
Auffassung, der Verbundenheit mit dem
Göttlichen: Sappho. In dem Willen nach
schlichter Anständigkeit und unverbrüchlicher
Treue zu einem menschlichen Menschentum:
Claudius; Ich verdanke den großen Satz Horaz,
das formalistische Gewissen: Mörike, Goethe,
Kraus; das burlesk Rustikale Dr. Owlglass.
Es wird nun niemand einfallen, mich um dieses
Bekenntnisses willen einen Jünger all dieser zu
nennen. Denn ich fühle mich in meinem wilden
Künstlerfuror Michelagniolo ebenso verwandt wie
Strindberg in seinem Haß gegen das Feminine,
gegen jede sekundäre Geisteserscheinung. All das
sind Komponenten, die der Grundsubstanz des
Wesens zufließen. Das Wesen selbst aber ist,
inmitten all dieser heutigen „Großen“, „sehr
Großen“, Bedeutenden und Bedeutendsten, bald
umrissen. Es heißt: Eine echte Dichterexistenz.
Ein Dichter schlechthin, nicht groß, nicht klein,
aber eben ein Dichter. Weder ein Charlatan, noch
eine Mißgeburt, noch ein Maulaufreißer, noch ein
Leisetreter, noch ein Hausierer mit
Gedichtartikeln, noch ein Stammler, noch ein
Analphabet, noch ein Jud. Hingegen Realist
ebenso wie Idealist, Bauern- und Mundartdichter
ebenso wie Zivilisationslyriker, Formalist ebenso
wie Nihilist –: Kurz, nicht so leicht einzureihen wie
meine Herren Zeitgenossen, die lauter
Spezialisten sind. [...]
Quelle:
Nach dem maschinschriftlichen Original in der
Handschriftensammlung der Wienbibliothek im
Rathaus (ehemals Wiener Stadt- und
Landesbibliothek), I.N. 206.123 Aut. (vgl. W V N
67ff.).
Bearbeiter: cf.
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