© 2019 Josef Weinheber-Gesellschaft  Die gesamten Inhalte dieser Website sind urheberrechtlich geschützt   Spätwerk Wilde. (Der einsame Mensch). Ich habe mich ihrem dämonischen Einfluß auf mich, ihrer wuchtig dramatischen und das Herz gefühlswund bloßlegenden Lyra bis heute nicht ganz entziehen können, obwohl ich weiß, daß sie, weil von außen kommend, meiner künstlerischen Eigenbeständigkeit abträglich ist. (Zum Unterschied von der Antiken Strophe, die als vollendete, nie wieder erreichte Form für das Heroische das schlechtweg Gegebene für einen heroischen Gefühlskomplex in allen Zeiten und in allen Sprachen darstellt. [Am stärksten freilich im Deutschen.]) Aber die zutiefst religiöse Einstellung in meiner heutigen Kunst, die sprachlich letzte Sammlung sowie das Bemühen, mich darin auch menschlich zu vollenden, verdanke ich: In dem priesterlichen Ernst, der Hoheit und Weihe dichterischer Auffassung, der Verbundenheit mit dem Göttlichen: Sappho. In dem Willen nach schlichter Anständigkeit und unverbrüchlicher Treue zu einem menschlichen Menschentum: Claudius; Ich verdanke den großen Satz Horaz, das formalistische Gewissen: Mörike, Goethe, Kraus; das burlesk Rustikale Dr. Owlglass. Es wird nun niemand einfallen, mich um dieses Bekenntnisses willen einen Jünger all dieser zu nennen. Denn ich fühle mich in meinem wilden Künstlerfuror Michelagniolo ebenso verwandt wie Strindberg in seinem Haß gegen das Feminine, gegen jede sekundäre Geisteserscheinung. All das sind Komponenten, die der Grundsubstanz des Wesens zufließen. Das Wesen selbst aber ist, inmitten all dieser heutigen „Großen“, „sehr Großen“, Bedeutenden und Bedeutendsten, bald umrissen. Es heißt: Eine echte Dichterexistenz. Ein Dichter schlechthin, nicht groß, nicht klein, aber eben ein Dichter. Weder ein Charlatan, noch eine Mißgeburt, noch ein Maulaufreißer, noch ein Leisetreter, noch ein Hausierer mit Gedichtartikeln, noch ein Stammler, noch ein Analphabet, noch ein Jud. Hingegen Realist ebenso wie Idealist, Bauern- und Mundartdichter ebenso wie Zivilisationslyriker, Formalist ebenso wie Nihilist –: Kurz, nicht so leicht einzureihen wie meine Herren Zeitgenossen, die lauter Spezialisten sind. [...]  Quelle: Nach dem maschinschriftlichen Original in der Handschriftensammlung der Wienbibliothek im Rathaus (ehemals Wiener Stadt- und Landesbibliothek), I.N. 206.123 Aut. (vgl. W V N 67ff.). Bearbeiter: cf. zurück Anhang Spätwerk