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Auch mit Kammermusik verfolgt Weinheber
den Versuch, etwas „Zeitgemäßes“ in der
höheren Bedeutung des Wortes zu schreiben
[1] – womit gerade nicht gemeint ist, der Zeit
nach dem Mund zu reden, sondern im
Gegenteil: etwas zu schaffen, was seine
Gültigkeit auch aus dem Bewußtsein bezieht,
mit dem es jene Ebene des Tages,
durchschauend, übersteigt: Unter der Drohung
des Krieges und in einer Atmosphäre, in der der
Militarismus die öffentliche Rede bestimmt – „in
einer Zeit, die von Heroik nur so staubt“ –,
scheint für Weinheber dieses „Zeitgemäße“
gleichsam in einer Wider-„Tat“ zu liegen, also
darin, das entscheidende Recht des
Kontemplativen gegenüber dem Aktiven, des
(Nach-)Denkens und Fühlens gegenüber der
großsprecherischen Phrase und dem
besinnungslosen Tätertum zu betonen:
ausgedrückt in der Hinwendung zum
„Artistischen“ einerseits, in der Betonung des
„Intimeren“ andererseits [2] („die Kammer, das
Ich“ [3]). Damit wird das Buch zugleich zu
einer bewußten Demonstration des
„Österreichischen“ [4] – in dem Sinne, in dem
dieser Begriff für den späten Weinheber, jenseits
des Klischees, zur Chiffre des von einem
bestimmten kulturlandschaftlich gesicherten
Traditionsbewußtsein gespeisten
Widerspruchsgeistes geworden ist. Die Lyrik
versucht die Form- und Gestaltungssprache der
Musik in neue, bereichernde sprachkünstlerische
Verfahrensweisen umzusetzen (Capriccio,
Notturno [II] etc. – Sinfonia domestica, Kleine
Fuge etc. – Dissonanz etc.). [5] In meist relativ
kleinen, auf Reim und Rhythmus konzentrierten
Gebilden werden die „Gegenstände“ des Gedichts
– „Dinge“ im gewöhnlichen (Auf eine zerbrochene
Schale) und im besonderen Sinne (der Charakter
einzelner Instrumente wird sprachlich
inkorporiert: der titelgebende Zyklus,
Ziehharmonika, Klarinette, Orgel etc.), die Natur
(neue Blumengedichte, Der Strom als Figuration
der Donau, Beschreibung eines Himmels etc.), die
Geliebte (An eine Geliebte, Von einem Angesichte
.. etc.) –, ohne ihren genregemäßen Eigenwert
einzubüßen, transparent gemacht für
selbstreflexive, zeitkritische und politische
Bedeutungen. So weisen einige Texte der
Kammermusik eine in Weinhebers Werk sonst
nicht zu beobachtende Nähe zu Techniken der
verdeckten Schreibweise, wie sie in der sog.
„Inneren Emigration“ entwickelt werden, auf (vgl.
bes. Abend auf der Veranda und Geliebte, mir
geraubt, ein Schlüsselgedicht auf die Auflösung
Österreichs durch den „Anschluß“).
cf
Kammermusik (1939)
Anhang
Spätwerk
1) Brief an Korfiz Holm vom 14. 7.
1939, WN V 345.
(2) Ebd., vgl. auch den Brief an Korfiz
Holm vom 16. 8. 1939, WN V 353.
(3) Brief an Korfiz Holm vom 28. 7.
1939, WN V 348
(4) Vgl. u. a. die Briefe an Max Hotop
vom 2. 1. 1940, WN V 457, und vom 5.
5. 1941, ebd. 468.
(5) Vgl. Rückblick und Rechtfertigung,
1942, SW IV 181.