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Spätwerk
Gedicht (Gelegenheitsgedichte; siehe oben,
Schriften mit politischem Auftrag), noch zwei
Sondergebiete der poetischen (Sprach-)Praxis
und ihre spezifischen Probleme –
grundverschiedene Formen des Dienens –
veranschaulicht.
Das Werk erlangt seine besondere literarische
Bedeutung dadurch, daß es sein Ziel einer
„poetischen Sprachlehre und Poetik“ [7] gerade
nicht auf dem Weg des konventionellen
Lehrgedichts – im Sinn der bloßen
verskünstlerischen Einkleidung von Lehrsätzen,
Regeln und Anweisungen – zu erreichen sucht.
Weinhebers Lehrgedichte sind zugleich
Mustertexte, und als solche sind sie Gedichte –
also lyrische Sprachkunstwerke – auch
unabhängig von ihrer demonstrativen Funktion.
So kann es sein, daß sich in den mittleren
Abschnitten des Buches Texte befinden, die in
der langen Tradition der radikalen
Selbstbildnisse Weinhebers stehen und
rückhaltlos Selbst- und Zeitgericht halten: so
zum Beispiel in dem Kapitel Vom Rhythmus die
Gedichte Als ich noch lebte – mit dem
poetologischen Untertitel Jambus (scenicus) –
und Der Leichnam – Untertitel: Trochaeus
(pseudodramaticus) – oder parallel in dem
Kapitel Das Bekenntnis die Gedichte Janus I und
II und Mit fünfzig Jahren I-VI. Das lyrische Ich
dieser Gedichte klagt sich selbst als einen
ausweglos in Schuld verstrickten Menschen an:
„Vielleicht, daß einer spät, / wenn all dies lang’
vorbei, / das Schreckliche versteht, / die Folter
und den Schrei – // und wie ich gut gewollt / und
wie ich bös getan; / der Furcht, der Reu gezollt /
und wieder neuem Wahn – // und wie ich endlich
ganz / dem Nichts verfallen bin / und der geheime
Kranz / mir sank dahin“ [8], und es mißt zugleich
der Epoche ihren Anteil an dieser Schuld bei:
„Hineingeboren in mein Ich, / ich hatte nichts zu
tun als echt zu sein. / Doch diese Welt stand
fürchterlich / dagegen auf, mit blutigem
Widerschein. // [...] // Was will die Zeit von mir?
Ward mir Gebühr? / Geehrt hat mich die Macht,
doch nicht gefragt. / So schließt sich nimmer das
Geschwür. / Und alles, was ich sprach blieb
ungesagt.“ [9]
Freilich verbietet sich auch im Hinblick auf diese
„Bekenntnis“-Gedichte – die zwar Bekenntnis
sind, dieses zugleich aber als eine der vielen
Dimensionen der Sprachkunst innerhalb der
Poetik auch demonstrieren wollen – eine
eindimensionale Auffassung, die an diese Texte
die geläufigen Maßstäbe der „Erlebnislyrik“ anlegt.
Es findet sich darin, entgegen den bald nach
Weinhebers Tod heftig einsetzenden
Spekulationen, weder ein planes „politisches
Schuldeingeständnis“ noch wird darin gar das
bisherige Werk, als von solchen Verfehlungen
„kontaminiert“, zurückgenommen. Zu
berücksichtigen ist die angedeutete
Kontextualisierung auch dieser Gedichte in dem
Gesamtbau der Poetik; es gilt wahrzunehmen,
welche ästhetischen Funktionen – eine weitere Art
von Rollen in Weinhebers Werk – die Texte darin
veranschaulichend innehaben, wie ihnen damit
jeweils ganz bestimmte Facetten des inhaltlichen
Spektrums zugewiesen werden und daß ihre
„Facetten-Ichs“ also erst im Mit-, Gegen- und
Ineinander ihre Quasi-Identität gewinnen. Weiters
ist es wiederum unerläßlich, die vielseitige
motivische Bedeutungsverflechtung und die starke
Dialogizität der Texte (also das Spiel mit fremdem
Sprachmaterial) zu beachten, die zu den
philosophischen Konturen hinführt, die nicht nur
das didaktische, sondern auch das
„bekenntnishafte“ Sprechen umschließen. So geht
es bei Weinheber niemals um die einzelne
„Aussage“, deren sich der journalistisch
operierende Zugriff zitatgerecht bemächtigt,
sondern immer um das gestaltete Ganze: Daß das
Gedicht keine „Aussage“ habe, gehört zu den in
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Anhang
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(7) Brief an Hans Rößner vom 18. 4. 1940,
WN V 398.
(8) Mit fünfzig Jahren I, SW II 604.
(9) Mit fünfzig Jahren II, SW II 604f.