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Spätwerk
Wichtiger als diese Entwicklungen, die als
zeittypische Bemächtigungsprozesse mit dem
Ziel, an der „Sensation“ des Weinheberschen
Erfolges politisch bzw. kommerziell zu
partizipieren, erscheinen, ist aber wohl
Weinhebers eigene geistige Annäherung an
einzelne Exponenten und Einrichtungen des
katholischen Österreich (wie im übrigen auch
des christlich-konservativen Deutschland)
einzuschätzen, so etwa seine von großem
gegenseitigen Respekt getragene Korrespondenz
mit Paula von Preradović, seine Freundschaft
mit Heinrich Suso Waldeck oder sein
Austausch mit Paul Graf Thun-Hohenstein,
der ein Porträt des Dichters für die renommierte
Münchener Zeitschrift Hochland erstellt. –
Generell ist festzuhalten, daß Weinhebers
publikatorische Praxis (sein „Umgang mit
Öffentlichkeit“) nicht bzw. nicht durchwegs mit
seiner poetischen Praxis und deren
kulturethischen Prämissen harmoniert. Das ist
jedoch kein spezifisch politisches, sondern ein
gesellschaftliches Problem und muß überdies an
der Komplexität jedes einzelnen Falles überprüft
werden.
Daß ihm nicht seine Heimat, sondern „das
nationalsozialistische Deutschland“ zuerst
„ziemlich objektiv und sehr spontan Gerechtigkeit
widerfahren ließ“ [1], nährt Weinhebers
Vorstellung, in einer gewissen Dankesschuld zu
stehen. Auch scheut er zunächst, endlich an die
Öffentlichkeit gedrungen, davor zurück, seinen
Status wieder aufs Spiel zu setzen, zumal er sich
für sein Werk, das in dieser Zeit immer stärker
auf das geistige Gespräch abzielt und an das
idealistische Konzept des Dichters als Erziehers
des Volkes anknüpft, auf ein Wirkenkönnen
angewiesen glaubt [2]. Noch nach dem
„Anschluß“ dürfte der Gedanke, „mitbauen zu
müssen“, also das Verantwortungsbewußtsein
gegenüber der „großen Volksgemeinschaft“,
maßgeblich dazu beitragen, daß Weinheber den
Plan, eine Lesereise durch die Schweiz im
November 1938 zur Emigration zu benützen,
wieder fallenläßt: „Willst Du die Kunst den S. A.
Leuten überlassen?“ [3]. Angesichts der
friedlichen Lösung der Sudetenkrise im dem von
Kriegsangst überschatteten Herbst 1938 scheint
Weinheber zum letzten Mal große Hoffnungen in
den Diktator selbst zu setzen [4]. Aber die
fortschreitende Auslöschung der Identität
Österreichs, die beobachteten Gewaltexzesse und
die Verfolgungs- und Vertreibungsschicksale aus
seinem Freundes- und Bekanntenkreis (für
Theodor Kramer und Otto Basil setzt er sich
erfolgreich ein) haben ihn längst zum erklärten
Gegner der nationalsozialistischen Herrschaft
gemacht.
Freilich wagt er es unter den veränderten
Umständen nicht mehr, sich den
Vereinnahmungsversuchen, die nun mit ungleich
größerer Vehemenz und Dreistigkeit auf ihn
hereinbrechen, konsequent zu entziehen. Statt
dessen arrangiert er sich mit den regionalen
Machthabern, insbesondere in Wien und
„Niederdonau“. Immer wieder läßt er sich für
öffiziöse Anlässe einspannen, setzt er
Handlungen, die den Anschein des Opportunismus
erwecken (er nennt es die Ausnützung seiner
„Konzilianz“ oder „Wiener Liebenswürdigkeit“). Er
bestreitet eine Unzahl von Leseauftritten und
übernimmt kleinere Ehrenämter – z. B. akzeptiert
er die Bestellung zum Laienprüfer bei der Ersten
juridischen Staatsprüfung (1940) und die
Berufung in das Preisrichterkollegium für den
Grillparzerpreis der Stadt Wien (1941), Größeres,
wie den Versuch, ihn als „Kulturbeauftragten“ für
„Niederdonau“ zu installieren (1941), kann er
jedoch abwenden. Auch verfaßt er
verschiedentlich Auftragsgedichte für Partei- und
Regierungsstellen höheren oder niedrigeren
Ranges (siehe unten, Schriften mit politischem
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Anhang
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(3) Ein Gespräch mit Weinheber reflektierende
Zitate aus einem nur fragmentarisch erhaltenen
Brief Christine Bentivoglios an Josef
Weinheber, [nach dem 21. 8. und vor dem 22.
9. 1938], siehe SW II 757.
(2) Vgl. z. B. den Brief an Gustav
Pezold vom 14. 1. 1938, WN V 244ff.
(1) Entwurf eines Briefes an Rudolf List
vom 3. 8. 1936, siehe Jenaczek 1995, S.
110, bzw. SW I/2 467.
(4) Vgl. den Brief an Hans Rößner vom 7. 10.
1938, Jenaczek 1999, S. 357; allerdings ist
anzunehmen, daß Weinheber mit Hinblick auf
den Adressaten nicht offen spricht (dazu
Fackelmann 2005, S. 682ff., 709ff.).