© 2019 Josef Weinheber-Gesellschaft  Die gesamten Inhalte dieser Website sind urheberrechtlich geschützt   Anhang Nur für O Mensch, gib acht, das „erbauliche Kalenderbuch für Stadt- und Landleut“, gilt eine ähnlich substantielle Veränderung der Personenperspektive wie bei Wien wörtlich, eine distanzschaffende Betonung des „Rollenhaften“ der lyrischen Person. Um nach seiner Vaterstadt auch seiner süddeutsch- österreichischen Heimat ganz aus der Sprache heraus ein Denkmal zu setzen, schlüpft der Künstler nun in die Rolle des Kalenderdichters, der den Leser mit liebevollem Humor und heiterer Ironie durch den bäuerlichen Jahreskreis, die Feste des Kirchenjahres und das ländliche Brauchtum führt. Mit spielerischem Ernst knüpft Weinheber an die große Tradition des Volkskalenders an und entfaltet in zwölf Monatszyklen mit je sieben Gedichten grundverschiedener Art ein buntes Spektrum der Formen und Stile: vom holzschnittartigen Monatsspruch („Bäuerliches Kalendarium“) bis zum burlesk Balladischen (Der Bauer und die Bienen, Der Rest von Ottakring etc.); vom Magischen Kalendarium (Tierkreis-Sprüche) bis zu den Ding-Gedichten, die sich dem ländlichen Hausrat widmen (Die Uhr, Die Schüssel etc.); vom ständischen Rollengedicht im engeren Sinn („Ständekalendarium“: Arbeiter, Handwerker etc.) bis zum religiösen Figurengedicht (Heiligenminiatur: Sankt Laurentius, Sankt Michael etc. – biblische Motive: Judaskuß, Auferstehung etc. – religiöses Brauchtum: Sternsingerlied, Lichtmeß etc.); vom scherzhaften „Spruch“ (Magisches Rezept, Schwammspruch, Bauerngarten etc.) bis zum Bild-Gedicht („Einwörtlichungen“ von Werken der bildenden Kunst: Die Blinden nach Brueghel d. Ä. etc. – Porträts und Selbstporträts: Herr Walther von der Vogelweide zur Miniatur in der Manessischen Handschrift, Meister Anton Pilgram nach dem Selbstbildnis unter der Kanzel im Stephansdom etc. – Szenen, Landschaften und Ensembles: Die Armen in der Weihnacht, Land im Lenzing, Jahraus – jahrein etc.). – Die literarischen Vorbilder sind hier weniger entscheidend (Dr. Owlglass, Franz Stelzhamer, Neidhart von Reuenthal werden genannt). Der Vorrang gilt der – auf breiten Studien volkskundlicher Schriften und literarischer Quellensammlungen gründenden – intertextuellen Arbeit an dem teils mündlich- praktisch, teils „volkspoetisch“ tradierten Sprachmaterial selbst, und somit abermals denjenigen Formen des Humors, die auf dem Spiel mit dem Tonfall, der lebendigen Redewendung, sprichwörtlichen Redensarten (Bauernregeln, Sprüche und Formeln des Aberglaubens etc.), also einer phraseologischen Hellhörigkeit im weitesten Sinn, beruhen. Sog. Stilporträts (z. B. Stiefelknecht und Wetterhahn) versuchen ähnliches auf der Ebene einer vergangenen Epochensprache. Anders als noch bei Wien wörtlich gehört auch der bibliophile Bildschmuck, den die Graphikerin in enger Zusammenarbeit mit dem Dichter und in freier Verarbeitung ikonologischer Konventionen vornimmt, von Anfang an konstitutiv zum Ganzen des Werkes. In dieser künstlerischen Einzigartigkeit, der souverän durchdachten Gestaltetheit und dem christlich-humanistische Ethos des Kalenderbuches – Weinheber nennt es das „herzene Element“ –, liegt der Schlüssel zu dem bewußten Kontrapunkt, den es gegenüber der Doktrin „volkhafter“ Dichtung und der literarischen Verklärung der bäuerlichen Welt im Sinne des Blut- und Boden-Mythos setzen möchte. Infolgedessen zieht es sich schon kurz nach seinem Erscheinen den Zorn Robert Leys zu („geistiges Gift für unser Volk“, „Klassenkampf Katholizismus“ [1]), dessen „Deutsche Arbeitsfront“ inzwischen in den Besitz des Langen- Müller-Verlages gelangt ist, und trägt dazu bei, daß Gustav Pezold zu Beginn des Jahres 1938 zum Rücktritt gezwungen werden kann; ab 1941 werden keine weiteren Auflagen mehr genehmigt.  cf O Mensch, gib acht (1937)