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Anhang
Bei Wien wörtlich ist es der
„eminente Sprachgeist Nestroys“
[1], der, vermittelt durch Karl Kraus
(Nestroy und die Nachwelt, 1912,
etc.), hinter der literarisch-
künstlerischen Dimension des Werkes
steht. Das Buch zeichnet das Porträt
der Heimatstadt entlang der
verschiedenen Schichtungen des
Dialekts – einschließlich eines
österreichisch gefärbten
„Hochdeutsch“ in vielen Nuancen –,
also der jeweiligen Varietäten in
vorwiegend landschaftlich-sozialen (z.
B. Das Ross, Der Stammgast, Die
Kaffehauspositur), vorwiegend situativen (z. B.
Moralischer, Die Werbung), vorwiegend
funktionalen (z. B. Der Präsidialist, Der Ober an
den Stift) und vorwiegend historischen (z. B.
Ancien Regime, Colombingen) Kontexten. Komik
und Satire bezieht es aus der Einlassung auf
den Dialekt als gleichrangiges Material
literarischer Kunst und zugleich aus dem
Ineinander – das oft genug ein Gegeneinander
ist – von hochsprachlichen und dialektalen
Strukturen. Mithin aus einem genuin
sprachgebürtigen Humor, nicht aus
einem durch stoffliche Reize, etwa
durch Derbheiten und Groteskes,
erzeugten Witz. Im Zentrum stehen
das Rollengedicht (vom Typus Der
Phäake, Der Philosoph) und die
Genreszene (vom Typus Die
Landpartie, Wurstelprater, Beim
Heurigen); sehr oft verstärken
dialogische Aufbaustrukturen den
dramatisch-theatralischen Charakter
und rücken die Texte in die Nähe von
Theaterliedformen. Das Spektrum der
vom satirischen Sprachgeist kreierten
Tonfallstudien reicht von erhellenden,
entlarvenden, typisierenden und figurativen
Wirkungen über eine Vielfalt von Sprechweisen –
polemisch scharfe (Wir Wiener, Sieg der Provinz,
Wienerisch, Synonyma etc.), komisch heitere (Der
Auflauf, Uniformen in der Republik etc.) oder
pathetisch preisende (Hymnus auf den
Kahlenberg, Auf eine Wienerin, Blick vom oberen
Belvedere) – bis zu nachdenklichen und
elegischen Szenerien (Verschwundenes Wien,
Sieveringer Elegie, Alt-Ottakring, Elegie auf den
Tod eines alten Wieners etc.). Auch sozialkritische
Motive finden Platz (z. B. Vorstadtgasse im
Sommer, Ballade vom kleinen Mann). Der Autor
trägt die Maske des Wiener Volkssängers – man
beachte diesbezüglich den Leitspruch, einen
komplexen, auch gestalterisch programmatischen
Text – und schafft so eine mit selbstironischen
Lichtern durchsetzte Distanz, wie er sie für sein
übriges lyrisches Werk kaum gelten läßt.
cf
Wien wörtlich (1935)
Spätwerk
(1) Brief an Hermann Pongs vom
1. 2. 1941, WN V 434.
Wien wörtlich, 1935 (Wr. Ausg.)